2023/11/14

LEDER als Kohlenstoffspeicher NEU DENKEN

Einer der großen Vorteile von Leder gegenüberKunstfasern ist zweifelsfrei, dass esbiologisch abbaubar ist; je nach Artikelund Lederrezeptur bauen sich Lederfasernunter entsprechenden Bedingungen in derNatur zu Aminosäuren ab, die zusätzlich aufdas Pflanzenwachstum stimulierend wirken.Damit ist der natürliche Kreislauf angefangenvom CO2 in der Atmosphäre, über diePhotosynthese zu Pflanzen, über die Nahrungskettein das Rind, über dessen Hautzum Leder, und nach dessen Gebrauchzurück als CO2 in die Atmosphäre wiedergeschlossen.

Lediglich das Methan, welches das Rindausstößt, wirkt sich für einige Jahre klimaerwärmendin dem Zyklus aus, bevor auchdie Methanmoleküle sich wieder massenerhaltendzu der Menge CO2 abbauen, aus dersie hergestellt wurden. Im Gegenzug sorgtein grasendes Rind für eine Humusbildungim Boden, was zu einer längerfristigen CO2Speicherung im Boden führt; das kompensiertzu einem nicht unerheblichen Teil dienegative Seite des Methaneffektes. Ohneweiter ins Detail zu gehen, dies wird inLife Cycle Assessments (LCAs) versuchtabzubilden.

Der Fokus in diesem Artikel soll aberweg von dieser Kreislaufbetrachtung,hin auf einen zusätzlichenAspekt gerichtet sein: Leder als eineForm von biogenem Kohlenstoffspeicher,also auf ein Exit-Szenario ausdiesem Kreislauf. Die beschriebenebiologische Abbaubarkeit ist gut,wenn ein Stück Leder nach Gebrauchin der Umwelt landet; im Magen einesWalfisches findet man bis zu 75 KilogrammPlastikmüll, da synthetischeStoffe/Materialien sich nicht biologisch,sondern nur physisch abbauen; das heißtsie werden in der Natur kleingemahlen zuMikroplastik, das irgendwann dann mal inden Mägen der Tiere endet. Eine Lederfaserhingegen wird man nie in einem Fischmagenfinden, die hat sich auf dem Weg dahinbereits selbst zu Pflanzendünger eliminiert.

Worauf wir mit diesem Artikel jedoch hinweisenwollen ist, dass die biologische Abbaubarkeiteigentlich nicht die nachhaltigsteEndlösung für Leder sein sollte. Um einenpositiven Klimaeffekt zu erwirken, sollte manvielmehr nach Prozessen suchen, wie manKohlenstoff aus dem biogenen Kreislaufseparieren und langfristig speichern kann.Und hierfür ist gerade die Lederherstellungein perfektes Beispiel:

Die äquivalente Menge CO2, die im Ledergespeichert ist, lässt sich leicht berechnen.Rund 40 Prozent des Kollagens (Basismaterialvon Leder) ist reiner Kohlenstoff. Aufgrundder Massenbilanz der Molekulargewichtevon Kohlenstoff (=12 Dalton) zu CO2(=44 Dalton) errechnet sich somit, dassin einem Kilogramm Leder zirka 1,5 KilogrammCO2-Äquivalent gespeichert sind(Formel: 1 x 0,4 x 44/12).

Demnach werden in einer Haut für dieSchuhlederanwendung 9,45 KilogrammCO2-Äquivalent gespeichert, für eine typischePolsteranwendung wie im Autobereichhingegen sind es nur – oder immerhin – 7,5Kilogramm CO2-Äquivlent.

Rechnet man den Speichereffekt auf dieaktuelle Weltproduktion von rund 190 MillionenHaut pro Jahr hoch, von der etwa 50Prozent Schuhoberleder in der Anwendungsind (das heißt im Mittel rund 8,5 KilogrammCO2-Äquivalent pro Haut), ergibtdas einen Kohlenstoffspeicherung der weltweitenLederproduktion in Höhe von zirka1,6 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent.

Die Lederindustrie speichert demnach inihren Artikeln eine biogene Kohlenstoffmengevon 1,6 Millionen Tonnen pro Jahr,das entspricht ca. der Emission von einerMillionen Brennstoff-betriebenen Autos miteiner jährlichen Fahrleistung von 10.000Kilometern.

Diese gespeicherten CO2-Äquivalente müsseneigentlich in einem Life Cycle Assessment(LCA) dem Leder als Kredit wieder gutgeschriebenwerden. Bislang wird dieser wichtigeFakt in der Lederbranche jedoch in keinerWeise berücksichtigt, beziehungsweise entsprechendwertgeschätzt.

Anders ist das beispielsweise in derBaubranche: Wenn man ein Holzhausbaut anstelle eines Hauses aus Zement, wirdfür die Speicherung des Kohlenstoffs im LCAdes Holzhauses ein entsprechender Kredit(biogenic carbon allocation) mit einberechnet.Wir sind der Meinung, dass Brands undOEMs hier eine vergleichbare Betrachtungauch für Artikel aus biobasierten Materialienwie Leder und Baumwolle anstellen sollten.

Wenn man diese Betrachtungsweise nunweiterdenkt, stellt sich natürlich die Frage,was soll man mit dem Leder nach dessenVerwendung am besten machen. Auch hiergibt es viele Möglichkeiten, die Lederfasernoch langfristiger über die Anwendung alsFashion-Material hinaus zu speichern.

Aus Lederfasern können zum BeispielDämmmaterialien hergestellt werden, dieman im Hausbau sehr gut einsetzen kann,und die aufgrund ihrer intrinsischen Eigenschaftenwie Atmungsaktivität, Wärme- undSchallisolierung, Nichtbrennbarkeit darüberhinaus auch noch sehr gute funktionaleEigenschaften besitzen. Applikationen undVerfahren sind bereits ausgereift, oft sindallerdings die ökonomischen Vorteile vonfossilen Materialien immer noch überzeugender,was vielen der Anwendungen entgegensteht.

Aber auch hier zeichnet sich Veränderungab: Um einen Anreiz zur CO2-Speicherungzu schaffen, hat die Europäische Union dasEU-Emissionshandelssystem (EU ETS) entwickelt,das als Eckpfeiler eines Gesamtplanszur kosteneffizienten Reduzierung derTreibhausgasemissionen dienen soll. Kerndes Systems ist es, CO2 zu besteuern. DerWert der CO2-Steuer soll ein Niveau von 120bis 150 Euro pro Tonne CO2-Äquivalent erreichen;somit wird der gebundene Kohlenstoffin einer Tonne Leder einen Gegenwertin Höhe von 240 bis 300 Euro haben. Daswürde den Business Case für die Nutzungvon Lederfasern signifikant ändern könnenund eine Nutzung von Lederreststoffen nachihrem Gebrauch als Rohstoff in der Baubrancheauch ökonomisch attraktiv machen.

Doch ein Schritt nach dem anderen: DasWichtigste ist erst einmal, dass Brands undOEMs diesen Effekt der biogenen Kohlenstoffspeicherungzur Kenntnis nehmen, undihn vor allem in ihren LCA Benchmarks mitsynthetischen Materialien als Kredit mit einfließenlassen. Nur so wird sich im ArtikelLeder sein enormer Nachhaltigkeitsvorteilauch in Zahlen ausdrücken lassen.

Zum guten Schluss: Derzeit werden vonrund 350 Millionen Rinderhäuten, die proJahr (laut FAO-Statistik) in der Fleischproduktionanfallen, nur zirka 190 MillionenHäute zu Leder verarbeitet; das sind nuretwa 60 Prozent. Die anderen 40 Prozentder Häute werden entweder zu Gelatineverarbeitet oder sie verrotten einfach; inbeiden Fällen werden sie schnell wieder inihren Ausgangsstoff CO2 zerlegt.

Wenn die Industrie wirklich an klimaschonendenLösungen arbeiten will, sollte derFokus der lederverarbeitenden Brancheneindeutig darauf liegen, eine maximaleMenge an Häuten einzuarbeiten und damitauch eine maximale Menge an Kohlenstofflangfristig zu binden. Das bedeutet:Jede weitere verfügbare Haut, die zu Lederverarbeitet wird, wäre ein wichtiger Klimabeitrag.In Zahlen ausgedrückt, würde dieVerwertung der anderen 40 Prozent anRohhäuten weitere 1,2 Millionen TonnenCO2-Äquivalent pro Jahr speichern.

Konklusion: Jeder Quadratmeter synthetischerStoff, der durch Leder ersetzt werdenkann, würde einen wichtigen Beitrag zurVerbesserung des Weltklimas bringen. Jemehr Leder dann nach seiner Nutzung nochlangfristig als Material z.B. in der Baubrancheeingesetzt und gebunden wird, destogrößer und nachhaltiger wäre der Effektder CO2-Eliminierung. Vielleicht wäre damitauch eine klimafreundliche Lösung für dieFast Fashion-Branche gefunden, bei derLeder in der ersten Lebensphase nur relativkurz zum Einsatz kommt. Wenn es einelangfristige Applikation des Leders danachgäbe, wäre es eigentlich egal, ob Leder nurwenige Jahre oder länger als Modeartikelim Gebrauch ist – die Hauptsache ist, dassdie im Leder vorhandene Menge an CO2-Äquivalenten nachhaltig aus dem natürlichenKreislauf entnommen und möglichstlangfristig gespeichert wird. Und die wirklichlangfristige Speicherung des Kohlenstoffskäme ja dann im Anschluss.

Von Tom Schneider, Executive ChairmanISA TanTec Ltd., und Dr. Dietrich Tegtmeyer,TFL Ledertechnik GmbH, Global Head BusinessDevelopment and Industry Relations.

SHOEZ 12.2023 / PRO-LEDER 06.2023SPECIAL NACHHALTIGKEIT