2018/04/05

„DMFa muss abgelöst werden“

Der Anteil von Kunstleder in der Schuhproduktion steigt. Welche Herausforderungen ergeben sich aus dieser Entwicklung? Und welche Chancen? STEPTECHNIK sprach mit Kai Edling von der TFL Ledertechnik AG, die eine lösungsmittelfreie Beschichtungstechnologie entwickelt hat.

Herr Edling, wie entwickelt sich die globale Nachfrage nach Kunstleder?

Über die letzten Jahre ist die Produktion von Kunstleder im Durchschnitt um 8% pro Jahr gestiegen. Treibende Kraft ist vor allem der Markt für Schuhe und Handtaschen/Accessoires im Allgemeinen, aber auch der Automobilmarkt. In der Vergangenheit hat meist der nordamerikanische Markt globale Trends bei Schuhen vorgegeben. Wenn dies auch auf das Verhältnis Echtleder/Kunstleder zutrifft, dann wird der Kunstlederbereich stark wachsen und Echtleder weiter abnehmen. Schließlich ist der Anteil von Schuhen aus Kunstleder in den USA im Zeitraum von 2011 bis 2017 von 32% auf 43% gestiegen. Zugleich ging der Anteil von Schuhen aus Echtleder von 32% auf 21% zurück. Zum Vergleich: In der EU ist der Anteil von Kunstleder-Schuhen langsamer gewachsen, lag im Jahr 2017 aber auch schon bei 39%. Aus Echtleder gefertigt wurden 24%.

Mit welcher weiteren Entwicklung rechnen Sie?

Kunstleder werden qualitativ immer besser, d.h. sie ähneln zunehmend Echtleder. Es gibt moderne Mikrofasergewebe mit einer genarbten Polymerbeschichtung, die selbst Fachleute nur schwer von Echtleder unterscheiden können. Hinzu kommen weitere Trends, die überwiegend durch das Konsumentenverhalten getrieben sind. So wünschen sich immer mehr Verbraucher innovative, funktionelle Oberflächen, die leicht zupflegen sind. Dies ist auf Polyurethanbeschichtungen hervorragend zu realisieren. Und zudem bestimmt seit mehreren Jahren der White shoe-Hype den globalen Schuhmarkt, eine Ende der Sneakers-Ära ist nicht abzusehen. Auch diese Entwicklung spricht für Kunstleder, da im sportiven Bereich vielfach Materialien zum Einsatz kommen, die nicht wie Leder aussehen, sondern anders geprägt oder digital bedruckt sind. Außerdem steuert der Megatrend Veganismus dazu bei, immer häufiger die Verarbeitung von tierfreien Materialien als Leder-Ersatzmaterial einzusetzen.

Welche Vorteile bietet Kunstleder im Vergleich zu Leder?

Vergleicht man den reinen Materialpreis pro qm, ist Kunstleder deutlich kostengünstiger als Echtleder. Hinzu kommt, dass es deutlich effizienter in der Herstellung ist. Kunstleder wird als Rollenware eingesetzt, so dass es keine Qualitätsunterschiede gibt, die beim Zuschnitt berücksichtigt werden müssen. Das bedeutet auch, dass jede Lieferung identisch ist. Bei Nachbestellungen ist jedes Substrat reproduzierbar, während es bei Echtleder von Charge zu Charge oftmals zu Schwankungen kommt. Diese Zuverlässigkeit wirkt sich positiv auf die Prozesssicherheit in der industriellen Produktion aus. Und nicht zuletzt müssen sich die Schuhhersteller seit Jahren in der Öffentlichkeit mit dem Problem Chrom VI auseinandersetzen. Viele Verbraucherorganisationen stehen der Herstellung von Echtleder mittlerweile kritisch gegenüber.

Was sind die größten Herausforderungen bei der Produktion von Kunstleder?

Aktuell werden die meisten Kunstleder für den Einsatz als Schuhoberleder oder auch Schuhfutterleder unter Einsatz des hochgradig toxischen Lösungsmittel Dimethylformamid (DMFa) hergestellt. DMFa ist krebserregend und sehr flüchtig und kann in die Umgebungsluft und Abwässer während des Herstellungsprozesses gelangen. Je nach sicherheits- und umwelttechnischer Ausstattung der Beschichtungsanlagen und Abwasserreinigungssysteme sind die Arbeiter in den Kunstlederherstellungsbetrieben dieser toxischen Belastung ausgesetzt. Die industrielle Umsetzung von alternativen Produktionsmethodenzwecks Vermeidung von DMFa ist aktuell die größte technische Herausforderung in der Kunstlederherstellung. Es gibt alternative, lösungsmittelfreie Beschichtungsmethoden mit wasserbasierten Polyurethanen wie TFL Hydro PU - hier kommt man ganz ohne Lösungsmittel aus. Die Kontrolle von vereinbarten Höchstgrenzen an DMFa-Belastungim Kunstleder ist ein Thema für die Schuhindustrie. Mehr und mehr Kunstleder werden außerdem aus recycelten Rohstoffen hergestellt. Sowohl das erforderliche Rückenmaterialals auch die Beschichtungschemikalien können aus nachhaltigen Rohstoffquellen stammen.

Was ist bei der Verarbeitung von Kunstleder zu beachten?

Die Verarbeitbarkeit der unterschiedlichen Kunstledertyen in der industriellen Schuhproduktion ist problemlos. Kunstlederlässt sich sogar eher einfacher als Echtleder verarbeiten, da alle Flächenbereiche identisch sind, also keine naturbedingten Unregelmäßigkeiten in Materialstärke, Oberflächenbeschaffenheit etc. bestehen. Die Stärke und Verwindungssteife des Materiales wird – ähnlich wie bei Verarbeitung von Echtleder– durch geeignete Zwischenfuttermaterialien angepasst.

Die Schuhindustrie ist weitgehend globalisiert. Gilt dies auch für die Produktion von Kunstleder?

80% der Kunstleder für Schuhe wird in China hergestellt. In Italien gibt es nach wie vor einige namhafte Trendsetter, denn italienische Hersteller waren bis in die späten 90er Jahre führend in der Technologie für atmungsaktive Textilbeschichtungen für Schuhoberleder. Ebenso sind Produzenten in Japan führend in der Mikrofaserproduktion, mengenmässig wurde sie aber weitestgehend abgelöst durch China. Neben China gibt es wichtige Hersteller in Korea, Vietnam und Taiwan.

Was steckt hinter TFL Hydro PU?

TFL Hydro PU ist eine umweltschonende und schadstofffreie Beschichtungstechnologie zur Herstellung innovativer Schuh-Kunstledermaterialien. Hierfür wird in einem Mehrschicht-Transferverfahren ein Film aus hochwertigen wasserbasierten Polyurethanen auf einen textilen Untergrund gebracht. Das Verfahren kommt ohne jegliche Lösemittel und Weichmacher aus und erfüllt die ökologischen Anforderungen nachhaltig orientierter Schuhhersteller. TFL Hydro PU besitzt alle wichtigen Eigenschaften eines innovativen langlebigen Materials für die Schuhproduktion von heute. TFL Hydro PU wurde von der TFL-Ledertechnik Gruppe, einem Spezialanbieter von Lederhilfsmitteln für die Lederindustrie entwickelt, um den ständig wachsenden Bedarf an umweltfreundlichen Lederersatzstoffen gerecht zu werden.

In der Schuhindustrie ist die Sensibilität für eine schadstofffreie Lederproduktion in denvergangenen Jahren gewachsen. Wie sieht diesbei Kunstleder aus?

Die Industrie ist sich einig - DMFa muss abgelöst werden. Da das Angebot an DMFa freien Qualitäten noch gering ist und die DMFa-haltigen wesentlich preisgünstiger und noch in größerer Vielfalt verfügbar sind, findet dieser Wechsel jedoch nur sehr schleppend statt. In der Öffentlichkeit wird Chrom VI wesentlich heftiger diskutiert als DMFa. Dennoch wird der Umstieg auf DMFa-freie Leder über kurz oder lang stattfinden - die Nachhaltigkeitsabteilungen der meisten Brands haben hierzu kurz- bis mittelfristige Ziele definiert. Treiber dieser Entwicklung ist zum Beispiel ZDHC. Mehr und mehr Kunstleder werden außerdem aus recycelten Rohstoffen hergestellt. Sowohl das erforderliche Rückenmaterial als auch die Beschichtungschemikalien können aus nachhaltigen Rohstoffquellen stammen.

In der Praxis: Materialtest am ISC Germany

Anfang 2018 beauftragte die TFL Ledertechnik GmbH das ISC Germany in Pirmasens mit dem Test von verschiedenen Materialien, die mit der TFL Hydro PU Beschichtungstechnologie hergestellt wurden. Insgesamt wurden neun Materialien in verschiedenen Oberflächen-Designs bzw.-Strukturen und Materialstärken geprüft. Die Trägerschichten bestanden aus Microfaser bzw. Polyester-Gewebe. Durchgeführt wurde der Test von Sabina Krebs, Abteilungsleiterin Technik und Training Center am ISC. "Für die Verarbeitung wurde ein Herrensneaker gewählt, der aufgrund seiner Modellgestaltung sehr gut geeignet war, um die diversen Materialien miteinander zu kombinieren, zu verarbeiten und in ihren Eigenschaften zu testen", erklärt Sabina Krebs. Das Modell wurde in AGO- und Strobel-Konstruktion hergestellt. Zu den Ergebnissen von Sabina Krebs: Beim Zuschnitt am Schneidetisch sowie in der Vorrichterei beim Kantenschärfen ließ sich das Material ohne Beanstandungen verarbeiten, die korrekte Einstellung der Maschine vorausgesetzt. Als Zwischenfutter wurde ein leichtes Baumwoll-Gewebe/Molton mit Punktbeschichtung gewählt, um das Material an die Verarbeitungsanforderungen in der Stepperei und der Montage zu unterstützen. Bei 135 Grad Hitze und Druck zeigten sich keine Veränderungen. Zudem war in der Stepperei mit den Garnstärken 20/3 und 40/3 kein Unterschied zu Leder in der Verarbeitung festzustellen. "Saubere Stich- und Nahtbilder", so die Bewertung der Expertin. Und weiter: "Generell ließen sich alle Materialien sehr gut verarbeitet, sowohl in Kombination mit Leder als auch in dem Zusammenfügen von Ober- und Unterschaft." Bei der Strobel-Konstruktion musste das Material an der Blattspitze vorgerafft werden, dabei zeigten sich keine großen Faltenbildungen. In der Montage konnten die thermoplastischen Hinterkappen an der Hinterkappen-Vorform-Ausziehmaschine sehr gut eingearbeitet werden. In der Ferse wurde einfalten freies Ergebnis erzielt. Dabei wurde das Material mit ca. 110 Grad heißen Formen verarbeitet und anschließend bei ca. -12 bis -15 Grad gekühlt. "Der Dämpfvorgang beim Einleisten des Strobelschaftes war allerdings ungenügend", so Krebs. "Die Oberfläche aus Kunstleder nimmt keinen Wasserdampf auf. Allein die Hitze reichte nicht aus, um den Strobelschaft faltenfrei aufzuleisten. An der Leistenspitze entstanden somit kleine Falten, die nicht durch ein weiteres Bearbeiten entfernt werden konnten." Um faltenfreies Aufleisten zu ermöglichen, müsste Wasserdampf und Hitze von innen in den Schaft erfolgen, was durch eine alternative Dampfeinricht ungmöglich ist. Dagegen konnten die Schäfte in AGO-Konstruktion problemlos in der Montage verarbeitet werden. Ein Dämpfvorgang im Vorderkappenbereich war dabei ausreichend, um das Material faltenfrei an der Spitzenzwickmaschine einzuscheren. Sowohl beim Aktivieren der Schäfte nach dem Kleberauftrag als auch beim Setzen und Pressen der Laufsohlen bei ca. 67 Grad konnte keine Veränderung des Obermaterials festgestellt werden.

Über das ISC Germany

Das International Shoe Competence Center Pirmasens GmbH ist ein gemeinnütziges Lehr- und Forschungszentrum für die Schuhindustrie, deren Zulieferer und den Handel. Es ist eine Tochtergesellschaft des Prüf- und Forschungsinstituts Pirmasens e. V. und besteht seit 2007. Das Unternehmen bietet Dienstleistungen auf den Gebieten Aus-und Weiterbildung, Forschung und Entwicklung sowie Beratung mit den Schwerpunkten Qualitätsmanagement, Produkt-und Prozessoptimierung an. www.isc-germany.com

Magazine: STEPTECHNIK 02/2018 | Author: Helge Neumann